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Éva Fahidi: Die Seele der Dinge

Veröffentlicht am 03.05.2015

Herausgegeben im Auftrag des Internationalen Auschwitz Komitees, Berlin, und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Übersetzt von Doris Fischer, gebunden, Lukas Verlag 2011, ISBN-13: 9783867320986

ES WAR EINMAL EIN MÄDCHEN, DAS HIESS EVA.....*

„Wenn die Angst unserer Familie, die Angst der ungarischen Juden, der europäischen, auf von Deutschen besetzten Gebieten lebenden Juden, Nichtjuden, Zigeuner und aller Verfolgten zusammen geflossen wäre, wäre die Welt darin versunken.“  (zit. nach E. Fahidi, S. 258)

Die Autorin brachte es erst nach knapp 60 Jahren fertig – erst, als sie das Bemühen in Deutschland um Erinnerung und Verarbeiten vor Ort erlebte – die Geschichte ihres Lebens, ihrer Familie, des Entsetzens und der Gewalt durch den Nationalsozialismus, aber auch da und dort die Geschichte von Freundschaft und Liebe, von Menschlichkeit, aufzuschreiben.

In einer großen, arbeitssamen und großbürgerlichen Familie war Éva im ostungarischen Debrecen behütet aufgewachsen. Sie beschreibt den Tagesablauf in ihrer Familie ebenso wie die Art, sich zu kleiden, sich zu ernähren, erzählt vom gesellschaftlichen Leben, vom Umgang mit Tieren, mit der Natur, vom Turnen und Tanzen, von Vater, Mutter, Schwester, Onkel und Tanten und ihrer gesamten großen Familie. Von denen nach dem Holocaust kaum einer übrig geblieben war. Eindringlich schreibt sie über die Verschleppung ins Lager Ausschwitz-Birkenau, wo zuerst Frauen und Kinder von den Männern getrennt und dann sie, Éva, in die eine Reihe, Mutter, Schwester, Cousine mit ihrem wenige Monate alten Säugling, durch eine kaum merkliche Handbewegung Mengeles in eine andere Reihe gewunken wurden. „Die größte Tragödie meines Lebens geschah so, dass ich sie nicht einmal bemerkte“. Ohne zu wissen, dass sie alle anderen nie wieder sehen würde, nicht hier und nicht im Leben nach dem Krieg, ohne Abschied, ohne die leiseste Ahnung vom unmittelbar bevorstehenden Schicksal reihte sich Éva in die Menge der arbeitsfähigen Frauen ein. Geschoren und desinfiziert, aller Habseligkeiten beraubt, wurde sie mit den anderen ungarischen Frauen zur Zwangsarbeit nach Deutschland in das KZ-Außenlager Münchmühle im hessischen Allendorf verbracht, wo sie Bomben für die deutschen Endsieg bauen mussten.. Hungernd und frierend.

Das Elend dauerte für sie nicht einmal ein Jahr, reichte jedoch aus, dass sie zum Zeitpunkt der „Befreiung“ beinahe tot war. Sie kehrte in ihre Heimat zurück, wo sie sich zunächst nicht mehr zurecht fand, von der eigenen Haustür wurde sie fortgescheucht und zur Zeit der kommunistischen Schauprozesse zum "deklassierten Element" erklärt. Als Hilfsarbeiterin musste sie beim Aufbau der Stadt Sztálinváros (heute Dunaújváros) schuften, arbeitete nach der Revolution 1956 im staatlichen Außenhandel und gründete später eine eigene Außenhandelsfirma.

„Wer einmal ein Häftling war, wird nie wieder der Mensch, der er zuvor gewesen ist. Etwas in ihm ist für alle Zeit zerbrochen“ (zit. nach E. Fahidi, S. 164).

 

Heute, am 6. Mai 2015, durfte ich ihre Hände in meinen spüren. Ich konnte in ihre Augen blicken, aus denen so viel Lebenswille, so viel Kraft und so viel Wärme schaute. Ich durfte sie in Schalom Europa Würzburg sprechen hören vor Schülern eines Gymnasiums. Während ihres Vortrags herrschte gebannte Stille. Der Kloß in meinem Hals brannte. Èva sprach ohne Manuskript, ohne Notizen, in ihrem ungarisch, sogar ein wenig österreichisch, eingefärbten Deutsch, eine feine ausgezirkelte Sprache. Sie wandte sich eindringlich an die Schüler: "Ich weiß, dass ihr euch nicht vorstellen könnt, einmal selbst alt und runzlig zu sein. Trotzdem. Lasst uns für einen Moment die Rollen tauschen, ich setze mich als junge Frau zwischen euch  und ihr setzt euch hierher und erzählt von eurem Leben. Ihr tragt die Verantwortung. So wie ihr es anpackt, so wird euer Leben sein. Was werdet ihr erzählen? Wofür werdet ihr die Verantwortung übernehmen? Werdet ihr es aktiv gestaltet haben?" Nicht nur die Schüler, wir alle schwiegen, in tiefstem Inneren getroffen. "Und glaubt mir: wenn euch jemand sagt, dass ein Trauma vorüber gehe, dann lügt er. Niemals geht es vorbei, es sinkt tiefer und tiefer, und man kehrt immerzu dahin zurück, wo das Unfassbare geschehen ist. Es hört nie auf...."

 Ich bin dankbar, diese wunderbare Frau getroffen zu haben. Ich wünsche ihr und ihrer Familie Glück und den lang ersehnten inneren Frieden.

* Einleitungssatz Èvas bei ihrem Vortrag in Würzburg

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