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Ian McEwan: Kindeswohl. Diogenes Verlag 2015, ISBN 978 3 257 06916 7

Veröffentlicht am 26.01.2015

Kann man ein Omelett backen, ohne Eier zu zerschlagen, was als unumgänglich Napoleon stets zu seiner Rechtfertigung anführte? Man kann. Aber McEwans Roman ist noch viel viel mehr als die Antwort auf diese Frage.

Die Richterin am Londoner High Court Fiona Maye hat ihrer Leidenschaft für ihren Beruf und ihrem Ehrgeiz vieles beinahe klaglos geopfert: Kinder, ein ausgewogenes Familienleben, eine sich fortentwickelnde Beziehung zu ihrem Mann. Auch er ist erfolgreich als Universitätsprofessor, gebildet, smart und weltoffen. So trifft es sie eiskalt, als er ihr eines Tages klar macht, dass er eine Affäre will, mehr als die gutgeschwisterliche Beziehung, zu der ihre Ehe geworden ist: „Das ist schön und behaglich, und ich liebe dich, aber bevor ich tot umfalle, will ich noch eine große, leidenschaftliche Affäre haben. […] Ekstase, vor Erregung fast ohnmächtig werden. Erinnerst du dich? Ich will das noch ein letztes Mal, auch wenn du das nicht willst. Oder vielleicht ja doch.“

So erschüttert bis ins Mark muss sie sich mit einem Fall befassen, für den sie nicht mehr als 24 Stunden Zeit hat. Ein 17-Jähriger leukämiekranker Junge bräuchte dringend, um nicht zu sterben, eine Bluttransfusion. Diese wird von den Eltern vehement abgelehnt, auch von dem Jungen selbst. Alle drei sind überzeugte Zeugen Jehovas. Die Klinik klagt, um die lebenserhaltende Maßnahme, die Bluttransfusion, durchführen zu können. Jede der Parteien liefert der Richterin absolut nachvollziehbare, ernstzunehmende Argumente. Auch die Frage, inwieweit der Junge infiltriert sei von den Eltern und dem täglichen Besuch der Ältesten, muss beleuchtet werden, ebenso wie die, ob der 17-Jährige durch seine Intelligenz und überraschende Reife nicht wie ein Volljähriger angesehen werden und somit auch die Entscheidung allein fällen darf.

Fiona Maye entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt, vielleicht verursacht durch das häusliche Erdbeben: sie unterbricht die Verhandlung, um den Jungen im Krankenhaus selbst zu besuchen und sich von ihm ein Bild zu machen. Sie findet den Kranken wie beschrieben vor, zugleich absolut liebenswert und sterbenskrank. Bevor sie ihn verlässt, spielt er Geige und sie singt dazu. Dann fährt sie zurück und erlässt ein überraschendes Urteil.

Aber sie hat eine Grenze überschritten. Als mir das beim Lesen klar wurde, musste ich – und ich bitte ausdrücklich darum, dies nicht falsch zu verstehen – an folgenden Text bei Antoine de Saint Exupéry im kleinen Prinzen denken: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“

Ein grandioses Buch. Gelassen, ohne Eile und detailfreudig erzählt Ian McEwan die Geschichte, auch ohne moralische Einlassungen oder gar erhobene Zeigefinger. Eine Geschichte über unser Mensch-Sein, über Nähe und Distanz.

Absolut empfehlenswert.

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