Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Robert Seethaler: Der Trafikant. 9/2014, ISBN978-3-0369-5909-2

Veröffentlicht am 14.03.2015

Franz Huchel ist im Salzkammergut großgeworden, in Nussdorf am Attersee. Behütet und beschützt hat ihn seine Mutter, obwohl das Leben doch eher schwer und entbehrungsreich ist in den 30er Jahren für eine Frau, die keinen Mann mehr hat. Es ist der größte Luxus, der dem Franz wohl je in seinem Leben zuteil geworden ist. Aber irgendwann wird´s Zeit. Zeit, sich die eigenen Sporen für´s Leben zu verdienen. Und Franz, den die einen wahrscheinlich als naiv, die anderen als unschuldig bezeichnen würden, fährt nach Wien, um in der Trafik von Onkel Otto zu lernen, wie man Zeitschriften, Schreibwaren, Zigaretten und Zigarren verkauft und darüber sauber Buch führt.

Franz Huchel gerät in ein Wien, das völlig aus den Fugen geraten dem Anschluss an Deutschland entgegenfiebert. Sein naiver Schädel kapiert weder den Enthusiasmus noch die Uniformen, die Stiefel und die schnarrenden Stimmen, die offen zur Schau gestellte Häme, die Wut und den Hass. Sein Trafikantenonkel weist ihn an, die Zeitungen zu lesen, weil ein Trafikant eben wissen muss, welche Neuigkeiten er da verkauft.

Um die Ecke wohnt der schon recht alte Siegmund Freud. Und auch er kommt dann und wann in die Trafik, um sich Zigarren und Zeitungen zu holen. Sein liegengebliebener Hut ist für Franz die Gelegenheit, den Herrn Professor und den Jud, anderes weiß er nicht von ihm, näher kennen zu lernen. Dann und wann führen sie Gespräche, seltsame Gespräche, denn der Alte weiß nichts vom Jungen und der nichts vom Alten. Und trotzdem verstehen sie viel voneinander. Franz schreibt davon der Mutter auf bunten Karten und sie antwortet auf den Rückseiten lieblicher Seeansichten. In den wenigen Zeilen auf den Karten erzählen sie einander viel. Und wichtiges.

Franz verguckt sich in ein Mädchen. Ein böhmisches Mädchen, bestehend aus lauter zarten Rundungen. Er lernt sie im Prater kennen und ganz nach Ringelspielart fliegt er mit ihr in den Himmel und fällt in finstere Tiefen. Er sucht sie, er findet sie und kennt sich nimmer aus. Und sein Freund, Professor Freud, kann ihm nicht helfen. Seine Träume aufzuschreiben empfiehlt er ihm. Das tut der Franz, obwohl er nicht weiß, wofür, und eines Tages, als er Vogeldreck auf der frisch geputzten Scheibe vor der Auslage entdeckt, klebt er seinen Traum daneben hin. Draußen auf die Scheibe. Jeden morgen tut er das nun, noch ungewaschen und im Schlafanzug. Das ist freilich zu der Zeit, als die Gestapo den Onkel schon abgeholt hat. Weil der, so der Vorwurf, den Juden säuische Zeitschriften verkauft.

Der Onkel kommt nicht wieder, statt seiner ein Päckchen mit seinen Habseligkeiten. Der Professorenfreund packt für die Abreise. Und Franz hat das Gefühl, nimmer der zu sein, als der er in Wien angekommen war. In letzter Verzweiflung versucht er wenigstens die Liebe zu retten, aber auch da war ihm schon das tausendjährige Reich zuvor gekommen.

Er setzt ein ebenso aufsehenerregendes wie sinnloses Zeichen. Und klebt einen letzten Zettel an die Scheibe.  ----

Mir sitzt der Kloß noch immer im Hals. Nein, nicht wegen dem Schluss. Das ganze Buch verstopft mir den Hals. Robert Seethaler erzählt schlicht, ohne Gedönse, ohne Erklärungen, ohne irgendwelche Schörkel oder sonstigen feingeistigen Zierrat. Übrig bleibt Wesentliches. Und das schafft eine Unmittelbarkeit voller Kraft, voller Wucht.

FaltblattFaltblatt

Cookie-Regelung

Diese Website verwendet Cookies, zum Speichern von Informationen auf Ihrem Computer.

Stimmen Sie dem zu?