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Cut up! Idee und Aufforderung
Schöpferisch ist auch der Geist der Gewalt
(Manfred Hinrich, 1926 - 2015)
Unser Geist der Gewalt steckt in der Schere. Cut-up (französisch: découpé) ist eine Technik des kreativen literarischen Schreibens. Aus einer Zeitung, einem Buch, einer Broschüre werden Wörter oder Satzfragmente ausgeschnitten (es gibt noch weitere Methoden des Zerschneidens) und danach willkürlich – oder zumindest nur mäßig eingreifend – neu in Zusammenhang gebracht. Dadurch entsteht ein gänzlich neuer Text. Und uns sollte es dabei vorerst nicht interessieren, ob er Sinn ergibt.
Die Methode eignet sich sowohl als Startschuss in einen Text als auch als Impuls, eine vorhandene Geschichte zu beleben oder aus den Schlaglöchern zu holen. Und: SIE MACHT SPASS!
Heimatvertriebene
Die Broschüre eines Drogerie-Marktes, die sollte es also sein. Ein Heft gestopft voll mit Text. Mit sehr sehr vielen Wörtern drin. Wobei die meisten Wörter gleich als unbrauchbar einzustufen waren, einfach weil sie viel zu klein da standen, in einer Schriftgröße, die das Ausschneiden schon als sehr lästig prophezeite. Ganz zu schweigen vom Kleben. Die großen Wörter waren aber auch viel schöner. Nein, nicht von ihrem Inhalt her. Sondern rein vom Design. In dicken Blöcken hockten sie auf den Seiten und sprangen mich an: „Nimm mich! Ich opfere mich deiner hehren Aufgabe!“ Lange musste ich nicht überredet werden. Außerdem, so fiel mir auf, waren diese farbverfressenen, gut genährten Wörter auch sonst recht attraktiv. Sie waren nicht aus Versehen so groß und dick geworden, sondern weil sie was zu sagen hatten. Zumindest war dies Teil ihres Auftrags in dem Drogerieheft. Okay. Meine Schere grub ein Loch ins Papier und fraß sich um die properen Vertreter ihrer Art. Bei den ersten spürte ich noch ein wenig Ungeduld. Doch mit jedem Wort genoss ich es mehr, es aus seinem Zusammenhang und aus dieser Broschüre zu lösen, es praktisch heimatlos zu machen. Sie zu vertreiben ohne Gepäck hinaus in eine unbebaute Wüste. Hinaus aus seinem angestammten Platz, hin auf meinen Tisch, auf andere Wörter.
Sie schmähten einander, bockten, weigerten sich, aufeinander zu zu gehen. Vorerst kümmerte mich das wenig. Aber als genügend Löcher geschnitten, und die Heimatlosen zu einem stattlichen Haufen angewachsen waren, wollte ich schon, dass sie lieb zueinander sind. Sie glotzten mich an, beleidigt und trotzig. Sie drehten sich rum. Sie verdeckten einander.
Meine Ungeduld stellte sich wieder ein. Fein säuberlich zog ich den Wörterhaufen auseinander und legte jeden Schnipsel so hin, dass ich ihn gut lesen konnte. Lange schaute ich die Wörter dann an. Schob eines von hier nach da. Schob zurück. Nahm ein anderes in die Hand und legte es neben einen Rivalen. Sie schauten sich noch immer nicht an. Kein freundschaftliches Zwinkern, nicht einmal ein Zucken, dass sie einander erkannt hätten. Mensch, die waren zusammen mal in einem Heft!
Mich selbst zur Nachsicht ermahnend betrachtete ich jedes einzeln. Mir fiel auf, dass ein jedes für sich ein schillerndes Universum war. „Schloss“ – was fand in diesem Wort alles Platz! Die Träume von langen herrlichen Kleidern, von Degen und von zum Kampf gesattelten Pferden, Geister des Nachts, von Türen, durch deren Schlösser man versucht, Geschenke unterm Weihnachtsbaum zu sehen, von Plomben, von Kamelen und Riegeln, von Schlüsseln, die sich hindurch schieben und etwas beenden oder beginnen, Einblicke gewähren, Möglichkeiten töten… Assoziationen in wilder Fülle! „Gnade“ führt in Kirchenräume, zwingt auf die Knie, lässt milde Mienen auftauchen und wieder verschwinden, entführt in Kerker und auf Richtplätze, in den Himmel und in die Hölle. Lauter Universen schwammen auf meinem Tisch, meine Gedanken ruderten zwischen ihnen, gerieten unter die Wörterinseln und stießen laut nach Luft schnappend wieder nach oben.
Beinahe aus Versehen, gar nicht absichtsvoll, waren zwei nebeneinander geraten, die sich an die Hände nahmen. Im noch verschämten Nebeneinander entdeckten sie Gemeinsamkeiten, ob derer sie erröteten und unauffällig die Arme umeinander zu legen versuchten. Was kümmerten sie bisherige Inhalte ihrer Daseins! Gern waren sie bereit, diese über Bord zu werfen um dieser Nähe willen! Während tiefer Blicke näherte sich von hinten ein neues Wort. Ohne von den beiden bemerkt zu werden, hängte es seinen Karabinerhaken über die verschlungenen Hände. Verwirrt, verstört stellten sich frisch Verliebten der völlig neuen Wirklichkeit. Und als hätte die Verwirrung dem Chaos Tür und Tor geöffnet, drängten andere Wörter nach, bliesen den Planeten auf, damit sie alle Platz fänden.
Mein Herz stampfte einen Indianertanz. Spürten sie denn nicht, wie sie alle immer kleiner wurden? Aber ich… hatte ich es nicht genau so gewollt? Aussagen, Informationen, Ketten von Wörtern, die Geschichten erzählten, die in lyrischem Nebel Geheimnisse flüsterten. Oder etwa nicht? Warum trauerte ich nun um diese kleinen Universen? Ja, war ich denn noch ganz gescheit?
Die von mir Vertriebenen rodeten neues Land, bauten Häuser und schufen neue Strukturen ihres Daseins, ordneten Beziehungen und gingen ihrer Wege. Nur ihr Aussehen verriet noch ihre Herkunft.
Da kann man nix machen.
Clustern
Das Cluster-Verfahren (auch Clustering) ist eine von Gabriele L. Rico entwickelte Methode des Kreativen Schreibens. Dabei werden Assoziationsketten notiert, die von einem Zentralwort ausgehen. Das Clustering ist streng genommen ein spezialisiertes Brainstorming-Verfahren.
Grundlagen
Wie bei einer Mind Map wird davon ausgegangen, dass kreative Impulse aus dem Zusammenwirken von bildlichem und begrifflichem Denken entstehen. Erklärt wird dies aus der Funktionsweise des Gehirns, wonach die linke Hemisphäre für begriffliches, die rechte für bildliches Denken verantwortlich ist. Ziel der Methode ist es, beide Hirnhälften für den Schreibprozess zu nutzen.
Grundregeln
- Das Cluster beginnt mit dem Cluster-Kern: Ein einzelnes Wort oder eine Phrase wird in der Mitte eines Blattes notiert und ein Kreis um diesen Anfang gezogen.
- Vom Kern ausgehend werden nun Assoziationen notiert. Jede Assoziation wird wieder umkreist und mit der vorangehenden Assoziation durch einen Strich verbunden.
- Eine neue Assoziationskette setzt wieder beim Cluster-Kern an.
- Jede Assoziation wird notiert. Eine Zensur findet nicht statt.
Ziel
Anders als bei linearen Notizen entstehen nach einer gewissen Zeit aus den losen Assoziationsketten Verknüpfungen, erste Ideen für Verbindungen kommen auf. Dies ist der Übergang zum sog. Versuchsnetz (web of trial). In dieser Phase werden die Assoziationen in eine bestimmte Richtung weiter gelenkt: Es entsteht so etwas wie ein Text auf Probe. Aus dieser aufblitzenden Idee entsteht irgendwann ein Schreibimpuls, der unmittelbar umgesetzt wird.
Clustering kann übrigens auch als Ideenfindungstechnik in einer Gruppe genutzt werden. Ein Kernwort wird auf einen Flipchart geschrieben, und die einzelnen Teilnehmenden bilden nun gemeinsam Assoziationsketten, d.h. sie lassen sich von den Wörtern der andern anregen. Eine Person schreibt rasch auf – entsprechend dem Aufbau eines Clusters – was die Teilnehmenden rufen. So kommt viel Ideenmaterial zusammen.
Oder:
Das Cluster gehört im Creative Writing (Creative Writing, auch Composition genannt, wird an Hochschulen gelehrt) zu den wirkungsvollsten Methoden, einen Text ins Fließen zu bringen. Doch zunächst zur Begriffserklärung: Cluster kommt aus dem Englischen und bedeutet im übertragenen Sinne so viel wie, Büschel, Traube, Gruppe, Haufen oder Anhäufung. Das Konzept des Clustering ist einfach, die Wirkung verblüffend.
Der Autor nimmt ein leeres Blatt, legt es quer vor sich hin und schreibt in dessen Zentrum den Schlüsselbegriff für seine Idee. Nun zieht er eine Elipse um diesen Begriff und schon beginnt der Schreibprozess. Alles was dem Autor jetzt zu dem Schlüsselbegriff einfällt, gruppiert er um das Zentrum herum. Die einzelnen Wörter, Sätze, Zitate, Informationen, Gedanken oder Gefühle werden nun umrahmt und mit dem Zentrum durch eine Linie verbunden. Das ursprünglich leere Blatt ist nun visuell mit der Idee für die Story gefüllt. Was ist passiert? Mit der Methode des Clustering haben wir ein visuelles Formengebilde zu Papier gebracht, das ergänzt durch Textinformationen, dem Gehirn die Möglichkeit gibt, komplexe Gebilde und abstrakte Denkkonstruktionen mit einem schöpferischen Sprachausdrucksvermögen in Verbindung zu bringen.