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Urs Widmer: Herr Adamson. Diogenes TB 24053, Zürich 2010

Veröffentlicht am 17.01.2015

Da sitzt ein 94-jähriger Greis in einem üppig blühenden Garten auf einer Bank. Neben sich ein Aufnahmegerät und den Oberschenkelknochen eines Tyrannosaurus Rex oder einer Kuh (wer weiß das schon), im Haar eine Feder und erzählt. Ein verrückter Alter? Einer, der die Kontrolle über sich und die Dinge verloren hat? Er heißt Horst, oder Never? Oder Häuptling Rasender Hirsch? Na, wie dem auch sei, er ist alles andere als senil oder neben der Spur. Er hat seinen besten Anzug angezogen (er weiß warum!) und wartet auf Herrn Adamson, der ihn heute, weil Freitag ist, abholen wird. Herrn Adamson kennt er seit seinem achten Geburtstag, als er mit der gleichen Feder im Haar in just diesem Garten auf seinen Freund gewartet hatte. Der nicht kam, weil er mal wieder nachsitzen musste. Stattdessen machte er eben die Bekanntschaft Herrn Adamsons. Der, wie sich heraus stellte, genau genommen ein Toter war. Den Host oder Never oder wie auch immer nur deshalb sehen und mit ihm sprechen konnte, weil der exakt in diesem Bruchteil einer Sekunde gestorben war, als Horst (wir bleiben jetzt mal bei dem Namen) das Licht der Welt erblickte.

Seiner Familie, in erster Linie jedoch seiner Enkelin Anna, erzählt Horst seine Geschichte, die so sehr mit der des Herrn Adamson verwachsen ist, dass sein ganzes Leben davon bestimmt wurde. Herr Adamson ist Teil der Träume und der Vorstellungswelt des Achtjährigen. In der Tote nicht einfach verschwinden, sondern irgendwie noch da sind, die sich tummeln an bestimmten Plätzen und Aufgaben im Dasein der Lebenden übernehmen. In der Gestern und Heute, das Hier und das andere Ende der Welt, Fantasie und Realität konkurrenzlos miteinander existieren. Horst bleibt sein Leben lang seiner Wirklichkeit, gestrickt aus diesen Vorstellungen, treu.  Dass er Navajo, oder die Na-Dené-Sprache, der athapaskischen Indianer studiert und allein mit sich im Spiegel Unterhaltungen führt. Dass er leidenschaftlich gräbt und gräbt, in der Erde wühlt, Kartoffeln anbaut, bis zu jenem Tag, auf den sein Graben und sein Spaten jahrzehntelang gewartet haben, an dem er die Skelette gemetzelter Indianer aus der Erde buddelt und der geschichtlichen Wirklichkeit zu ihrem Recht verhelfen kann.

Eine Fantasy-Geschichte? Ein Totentanz? Einfach nur eine verrückte Erzählung? Oder vielleicht doch eine mit doppeltem Boden oder einer Tür in eine andere Welt?

Lest. Erlebt. Und fragt euch.

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